Zum dritten Mal fand 2023 die trialogische Fachtagung der ARWED e.V. in Kooperation mit den Koordinationsstellen Sucht der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe statt. Das Thema: Rückfälle.
Rückfälle gehören zur Suchterkrankung dazu – oder nicht? Und abgesehen davon – wie sollen Betroffene, die Behandler und Behandlerinnen und auch Angehörige damit umgehen? Aktuelle Zahlen belegen, dass die Suchthilfe nur etwa zehn Prozent der konsumerfahrenen Menschen erreicht und Rückfälle normal sind. Auf unserer trialogischen Fachtagung „Beim Rückfall ist man selten allein – aber wie damit umgehen?!“ wurde das Thema von unterschiedlichen Seiten beleuchtet.
Nur im Trialog lässt sich das Suchthilfesystem verbessern
Wir haben die trialogischen Fachtagungen ins Leben gerufen, weil professionelle Konzepte zur Behandlung und Unterstützung überwiegend ohne uns, ohne die Beteiligung der Betroffenen und Angehörigen entwickelt werden. Die Rechnung wird sozusagen ohne den Wirt gemacht, und deshalb verpufft leider vieles wirkungslos – Interventionen gehen am Bedarf vorbei, greifen zu kurz oder sind der konkreten Situation der Betroffenen nicht angemessen. Deshalb wollen wir die trialogische Herangehensweise etablieren. Jährlich veranstalten wir in Kooperation mit den Suchtreferaten des LVR eine trialogische Fachtagung mit Fokus auf ein Versorgungsthema im Bereich (Drogen-)Sucht, bei dem Innovations- oder Verbesserungsbedarf gesehen wird. Hierzu werden Betroffene, Angehörige und Teilnehmer*innen aus dem professionellen Suchthilfesystem eingeladen. Fachreferent*innen informieren umfassend zum Fokus-Thema, wie aktuell zum Rückfall. Das Ziel: die Verbesserung des Suchthilfesystems durch passgenaue Angebote für Betroffene und Angehörige, Schließung von Versorgungslücken, Überwindung von Versorgungshemmnissen und die Entwicklung von tragfähigen Konzepten für alle Beteiligten.
Was ist ein trialogisches Suchthilfesystem?
In einem trialogischen Suchthilfesystem erfolgt die Zusammenarbeit zwischen Betroffenen, Angehörigen und Fachkräften auf einer partnerschaftlichen Grundlage. Die Beteiligten tauschen ihre Erfahrungen, Erkenntnisse und Perspektiven aus, um gemeinsam tragfähige Lösungen zu entwickeln. Dieser offene Dialog ermöglicht eine ganzheitliche Sichtweise auf die Herausforderungen der Suchterkrankung und fördert die Entwicklung maßgeschneiderter Unterstützungsansätze.
Durch die Integration von Betroffenen und Angehörigen in den Entscheidungsprozess können Bedürfnisse und Lebensrealitäten besser verstanden werden und in die Gestaltung von Hilfsangeboten einfließen. Ein trialogisches Suchthilfesystem schafft somit eine inklusive und partizipative Struktur, die dazu beiträgt, effektive, nachhaltige und bedarfsgerechte Unterstützung bereitzustellen.
Vom besseren Umgang mit dem Rückfall
Auf unserer diesjährigen Tagung berichteten die Referent*innen Dr. Dirk Gastauer (Therapieverbund Ludwigsmühle, Landau i.d. Pfalz), Jörg Böckem (Journalist und Autor, Hamburg), Dr. Christiane Erbel (ARWED e.V., Bochum), Anke Duarte (Caritas-Suchthilfezentrum [SHZ], Schwelm), Dr. Sabine Broich-Olk (LVR Düren) sowie Markus Melis und Achim Roland (Auxilium, Hamm) aus der Sicht der Profis, der Betroffenen und der Angehörigen über die Themen stationäre Behandlung, Wohnen und Beratung. Moderiert wurde die Tagung von Claudia Braches (ARWED e.V., Bochum), Alexandra Peek (Koordinationsstelle Sucht, LVR, Köln) und Frank Schulte-Derne (Koordinationsstelle Sucht, LWL, Münster). Alle Berichte aus den unterschiedlichen Perspektiven haben gezeigt, dass die Rückfallvermeidung eines der Hauptziele sein muss. Ein Ziel, das aber auch Abweichungen aushalten muss. Ein Rückfall oder ein Abbruch der Therapie darf keineswegs das Ende sein – wir müssen solche Fälle eher als Durchgangsstation auf dem Weg des Heilungsprozesses sehen. Was aber auch aus unserer Sicht ganz wichtig ist: Nicht nur die Abstinenz ist das Ziel. Eine zieloffene Suchthilfe nimmt ebenso Konsumkompetenz und Harm Reduction, also Schadensminimierung, ernst.
Rückfall ist nicht gleich Rückfall
Nicht jeder Konsum ist ein Rückfall im Sinne eines totalen Absturzes, Rückfälle können auch kurz sein. Deshalb muss jeder Rückfall individuell bewertet und die Handlungsweisen müssen angepasst werden. Zum Beispiel fordern die trialogischen Partner Lösungen, die nicht sofort zum Abbruch der aktuellen Maßnahme zum Beispiel in einer Klinik führen. Dazu gehört auch, Rückfälle nicht nur negativ zu bewerten – die Verwendung des Begriffs „Vorfall“ statt „Rückfall“ ist nur ein simples Beispiel. Zudem können Suchtprofis helfen, Rückfälle zu erklären – den Rückfälligen selbst und den Angehörigen.
Neue Wege im Suchthilfesystem
Die Vorträge und Diskussionen haben gezeigt, dass sich im Umgang mit Rückfällen etwas ändern muss. Abschließend zur Tagung formulierten die trialogischen Partner folgende Forderungen an das Suchthilfesystem:
- Rückfälle und Abbrüche bedeuten für die Angehörigen oft viel Leid – enttäuschte Hoffnung, Ohnmacht, Ausweglosigkeit. Deren Einbeziehung und rechtzeitige Information können das Leid mildern oder sogar verhindern. Deshalb sollten Prozesse für einen Informationsfluss, trialogische Absprachen und Vereinbarungen verbindlich eingerichtet und allen Beteiligten transparent gemacht werden.
- Dass sich Suchthilfe nur an die Konsumierenden wendet, muss der Vergangenheit angehören. Eine Verankerung des Anspruchs auf Unterstützung des Angehörigensystems ist unbedingt notwendig.
- Das Warten auf Entgiftung und Therapie macht den Rückfall wahrscheinlicher. Das sogenannte „Nahtlosverfahren“ (unterbrechungsfreier Übergang von der Entgiftung in den qualifizierten Entzug und in die Rehabilitation) wird von der Deutschen Rentenversicherung, der gesetzlichen Krankenversicherung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft explizit empfohlen, findet aber in der Realität zu selten statt. Hier ist umgehend Abhilfe zu schaffen.
- Anpassung der Kriterien für Kostenübernahme durch die Kostenträger an den State of the Art: eine individuelle Bewertung von Rückfällen durch die Behandler*innen zulassen. Kriterien wie „rückfällig geworden“, „mangelnder Abstinenzwillen“, Anzahl der bereits durchgeführten Behandlungen und Rehabilitationen, Vorgabe von zeitlichen Abständen zwischen Rehabilitationen dürfen nicht per se zu Verweigerungen von Kostenübernahmen für Behandlung und Rehabilitation führen.
Vortrag „Das Date“
Für das Thema des diesjährigen Trialogs hat der Poetry Slammer Stef mit seinem Vortrag „Das Date“ einen eindrücklichen emotionalen Bezug zum Thema hergestellt: Es geht um das Treffen zweier Menschen, die sich bislang nicht kannten. Wie sich herausstellt, ist der eine abhängig, der andere seit vier Jahren trocken. Patrick, so sein Name, erzählt offen von seinem Weg in die Sucht und aus der Sucht. Von Entzug, Rückfall, Entzug, Rückfall, Entzug … jetzt Job, bald Prüfung … und beendet das Date mit „Ich muss auf mich selbst achten.“ Was folgt, sind zunächst Wut und Ärger beim Zurückgelassenen. Die Gedanken kreisen. Und er tut etwas, das er lange nicht mehr getan hat …
Ein positives Fazit
Stellvertretend für die durchweg positive Resonanz auf die ARWED-Fachtagung hier beispielhaft eine Stimme: „Auch dieses Jahr war ich wieder von der hier praktizierten trialogischen Methode beeindruckt: ein offener, transparenter und fruchtbarer fachlicher Austausch und Konsensbildung auf Augenhöhe zur Verbesserung der Suchthilfe!“
Möchten Sie mehr erfahren?
Hier geht’s zum Dossier der ARWED-Fachtagung.
Zu den einzelnen Beiträgen:
Sicht der Profis: Konsumkompetenz, Dr. Dirk Gastauer, Therapieverbund Ludwigsmühle
Sicht der Betroffenen, Jörg Böckem
Sicht der Angehörigen, Dr. Christiane Erbel, fragEltern
Stationäre Behandlung, Dr. Sabine Broich-Olk, LVR-Klinik Düren
Wohnen, Markus Melis und Achim Roland, Auxilium
Beratungsstelle, Anke Duarte, Caritas Schwelm/Ennepetal/Breckerfeld
Text „Das Date“, Autor: Stef, Poetry-Slammer
Hier finden Sie die Zusammenfassungen der Fachtagungen aus den Jahren 2019 und 2022.
[Das Titelfoto beinhaltet ein Agenturfoto, das mit einem Modell gestellt ist.]