Neues Gesetz: Jetzt helfen Verfahrenslotsen im Hilfesystem

Wissen

Oft ist es schwer, die richtigen Hilfsangebote für uns und unsere drogenerkrankten Kinder zu finden. Das Hilfesystem ist zwar breit aufgestellt, stellt Familien aber häufig vor Herausforderungen.

In Gesprächen stellen wir fest, dass Unterstützung nicht eingefordert wird, weil sie einfach nicht bekannt oder der Weg dorthin zu kompliziert ist. Manchmal ist auch unklar, ob überhaupt ein Anspruch besteht.

Seit dem 1. Januar 2024 können Verfahrenslotsen unterstützen, die passende Hilfe zu finden. Sie sind Teil der gesetzlichen Neuregelungen zur Umsetzung der inklusiven Jugendhilfe, die 2021 im Kinder- und Jugendhilfestärkungsgesetz auf den Weg gebracht wurde. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein und wer kann dieses Angebot in Anspruch nehmen? An wen kann ich mich wenden? Und wie läuft eine solche Begleitung ab? fragEltern hat dazu das Team des Beratungsdienstes der Verfahrenslotsen vom „Zweckverband für psychologische Beratungen und Hilfen“ um Antworten gebeten.

Können Sie zu Beginn einmal kurz erklären, was die Suchterkrankung eines jungen Menschen möglicherweise mit inklusiver Jugendhilfe zu tun hat?

Team Zweckverband:
Nicht selten gehen Suchterkrankungen und Behinderungen Hand in Hand. Diese können zum einen Auslöser, zum anderen aber auch Folge eines Suchtmittelmissbrauchs sein. Aufgrund dessen kann eine inklusive Jugendhilfe von großer Bedeutung für diejenigen sein, die an einer Suchterkrankung leiden und Unterstützung bei der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft benötigen.

Also können betroffene Familien unter bestimmten Voraussetzungen auch die Hilfe des neuen Angebots „Verfahrenslotse“ in Anspruch nehmen? Welche Voraussetzungen sind das?

Team Zweckverband:
Einen rechtlichen Anspruch auf Beratung durch die Verfahrenslotsen haben alle jungen Menschen, die wegen einer Behinderung oder drohenden Behinderung Eingliederungshilfe1 geltend machen möchten (§ 10b SGB VIII2). Dabei ist es egal, um was für eine Art der Behinderung es sich handelt und ob bereits eine Diagnose vorliegt oder nicht. Als junge Menschen gelten alle Menschen bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Darüber hinaus können sich auch Erziehungs- und Personensorgeberechtigte von Kindern und Jugendlichen mit (drohender) Behinderung beraten lassen. Inhaltlich geht es um Themen rund um soziale Teilhabe, Teilhabe Bildung, Teilhabe Arbeit und medizinische Rehabilitation. Grundsätzlich ist es wichtig, dass die Beratungsleistung freiwillig in Anspruch genommen wird, niemand kann die betroffene Person oder Familie dazu zwingen, sich von den Verfahrenslotsen beraten zu lassen.

Wie könnte eine Unterstützung aussehen? Wie läuft sie ab und was ist das Ziel?

Team Zweckverband:
Im Märkischen Kreis3 werden Ersttermine meist telefonisch oder per E-Mail durch die Klienten selbst vereinbart. Eine Terminvereinbarung durch Dritte, beispielsweise durch Lehrende oder Erziehende, kann nach Absprache mit der Familie oder dem jungen Menschen ebenfalls erfolgen. Darüber hinaus nehmen die Mitarbeitenden des Beratungsdienstes auch gelegentlich an Eltern-Cafés oder Ähnlichem teil, um das Beratungsangebot möglichst niederschwellig zugänglich zu machen. Erstgespräche werden, sofern möglich, innerhalb der ersten Woche nach Kontaktaufnahme angeboten. Im Erstgespräch geht es hauptsächlich um ein erstes Kennenlernen sowie eine Anamnese der aktuellen Problematik. Häufig wird das weitere Vorgehen geplant sowie To-dos verteilt. Aufgrund des sehr breiten Spektrums der Eingliederungsmöglichkeiten ist jedes Beratungsgespräch individuell. Nicht nur der Inhalt, sondern auch die Dauer und Intensität der Beratung und Begleitung variieren von Fall zu Fall. Ziel der Beratung ist es, einerseits, einen Überblick über die Eingliederungsmöglichkeiten vor Ort zu geben und bei der Inanspruchnahme zu unterstützen, andererseits aber auch die Eigenverantwortung der Klienten zu stärken.

An wen können sich Eltern wenden? Müssen die Jugendämter Eltern darauf hinweisen oder müssen sie selbst die Initiative ergreifen?

Team Zweckverband:
Aufgrund der Erweiterung des SGB VIII um den § 10b stehen seit dem 01. Januar 2024 bundesweit Verfahrenslotsen zur Verfügung. In vielen Kommunen gehört dieser Beratungsdienst direkt zum Träger der öffentlichen Jugendhilfe und ist vor Ort mit unterschiedlichen Institutionen und Trägern vernetzt, die in der Kinder- und Jugendarbeit sowie der Eingliederungshilfe tätig sind. So können alle Menschen erreicht werden, die einen Beratungsbedarf haben. Die Kontaktweitergabe kann natürlich durch das Jugendamt direkt, aber auch durch Schulen, Kitas, Beratungsstellen, ambulante Betreuungsdienste etc. erfolgen. So können auch Familien und junge Erwachsene erreicht werden, die bislang noch keinen Kontakt zum Jugendamt hatten.

Ist der Einsatz von Verfahrenslotsen bundesweit einheitlich geregelt? Und sind damit Kosten verbunden?

Team Zweckverband:
Das Beratungsangebot ist kostenlos, unabhängig sowie niederschwellig. Grundsätzlich ist der Beratungsauftrag der Verfahrenslotsen bundesweit einheitlich, die Ausgestaltung des Beratungsangebots kann aber aufgrund unterschiedlicher örtlicher Strukturen variieren.

Was können Sie betroffenen Eltern mit auf den Weg geben, die auf der Suche nach Hilfe sind?

Team Zweckverband:
Niemand sollte sich scheuen, nach Hilfe und Unterstützung zu fragen. Grundsätzlich gibt es ein großes Angebot an Unterstützungsmöglichkeiten, die aber aufgrund einer unübersichtlichen Trägerstruktur nicht immer direkt erkennbar sind. Genau dafür sind Fach- und Beratungsdienste wie die Verfahrenslotsen da und können bei der Verwirklichung von unterstützenden Leistungen behilflich sein.

1 Einen Überblick über den Anspruch auf Eingliederungshilfe bietet die Sozialplattform. Die Sozialplattform ist ein Projekt des Bundes und der Länder und wird federführend durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales umgesetzt.
Weitere Informationen rund um das Recht der Eingliederungshilfe und die Verfahrenslotsen sind auf der Seite Verfahrenslotse zu finden. Verantwortlich zeichnet die IReSA gGmbH, ein gemeinnütziges privates Forschungsinstitut, das auf dem Gebiet des Rechts der Sozialen Arbeit forscht.

2 Das § 10b des Sozialgesetzbuches VIII (Verfahrenslotse) im Wortlaut:
(1) Junge Menschen, die Leistungen der Eingliederungshilfe wegen einer Behinderung oder wegen einer drohenden Behinderung geltend machen oder bei denen solche Leistungsansprüche in Betracht kommen, sowie ihre Mütter, Väter, Personensorge- und Erziehungsberechtigten haben bei der Antragstellung, Verfolgung und Wahrnehmung dieser Leistungen Anspruch auf Unterstützung und Begleitung durch einen Verfahrenslotsen. Der Verfahrenslotse soll die Leistungsberechtigten bei der Verwirklichung von Ansprüchen auf Leistungen der Eingliederungshilfe unabhängig unterstützen sowie auf die Inanspruchnahme von Rechten hinwirken. Diese Leistung wird durch den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe erbracht.
(2) Der Verfahrenslotse unterstützt den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe bei der Zusammenführung der Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen in dessen Zuständigkeit. Hierzu berichtet er gegenüber dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe halbjährlich insbesondere über Erfahrungen der strukturellen Zusammenarbeit mit anderen Stellen und öffentlichen Einrichtungen, insbesondere mit anderen Rehabilitationsträgern.

3 Der Beratungsdienst der Verfahrenslotsen des Zweckverbandes für psychologische Beratungen und Hilfen ist in Nordrhein-Westfalen für die Städte Hemer, Iserlohn und Menden im Märkischen Kreis zuständig.

Hinweis der Verfahrenslotsen in Iserlohn, Hemer, Menden

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